In meinem Buch "Dein Reizdarm IST heilbar!" (humboldt) präsentiere ich zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die zweifelsfrei belegen, dass das Reizdarmsyndrom bereits heute heilbar ist. Allerdings erfordert das Schreiben einer solchen Erfolgsgeschichte dieser Tage noch recht viel Beharrlichkeit und Disziplin. Zwar können uns einige Untersuchungen wie die DNA-Analytik des Mikrobioms oder verschiedene Funktionsparameter des Darmes hilfreiche Abkürzungen aufzeigen, doch meist sind immer noch wir Betroffenen gefragt, wenn es heißt, die Informationsstücke aus Diagnostik, eigenen Erfahrungen und Theorie zusammenzufügen. Nicht jeder hat aber die nötige Motivation und Geduld hierzu, vor allem wenn er akut unter starken Darmbeschwerden und Komorbiditäten wie Depressionen oder dem Chronischen Erschöpfungssyndrom leidet, was bei Reizdarm-Patienten leider alles andere als selten ist.
Halten Sie durch, denn bald wird alles anders!
Nachdem ich im Buch ausführlich beschrieben habe, wie genau der Reizdarm durch das Befolgen einer mediterranen Low-FODMAP-Diät (mLFD), regelmäßiges Fasten und eine Umgestaltung des persönlichen Lebensstils deutlich gelindert oder sogar geheilt werden kann, wage ich im Abschlusskapitel noch einen "Blick in die Glaskugel". Die Frage, die mich beim Schreiben dieses Ausblicks umtrieb, lautete: "Was passiert mit dem Reizdarmsyndrom und den von ihm betroffenen Patienten in den nächsten 20 Jahren?"
Zum einen bin ich mir sicher, dass "der" Reizdarm in zahllose Unterdiagnosen zerfallen wird. Dies hat bereits heute begonnen und unzählige Patienten wissen inzwischen von ihrer Systemischen Nickelallergie, ihrem Gallensäureverlustsyndrom, ihrem Sucrase-Isomaltase-Mangel usw., also anderen organischen Erkrankungen, die eigentlich für die RDS-Beschwerden verantwortlich waren.
Außerdem werden verlässliche Biomarker, vor allem aus der Analytik des Mikrobioms und Metaboloms, die Diagnostik des Reizdarmsyndroms erleichtern und eine schnelle und verlässliche Unterscheidung von den klassischen Differentialdiagnosen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Zöliakie etc.) ermöglichen sowie Hinweise auf mögliche weitere Ursachen (Dünndarmfehlbesiedlung, Stärkeunverträglichkeit, Nickelallergie, Histaminproblematik ...) liefern.
In einem letzten Schritt wird dann ein Computer-Algorithmus die erhobenen Daten aus Anamnese und Demographie (Alter, Symptome, Subtyp, Geschlecht, Erkrankungsdauer, Beschwerdegrad) mit jenen aus den verschiedenen Untersuchungen verknüpfen und dadurch die für den einzelnen Patienten perfekt zugeschnittene Therapie formulieren. Kein leidiges Herumexperimentieren mehr!
Ein Arztgespräch, ein Stuhltest, ein Bluttest und zack - erheblich weniger Beschwerden oder sogar vollständige Heilung von Bauchschmerzen, Durchfällen, Verstopfung und Blähungen innerhalb weniger Wochen!
Klingt für Sie nach Science-Fiction? Viel zu gut, um wahr zu sein?
Dann sollten Sie unbedingt weiterlesen, denn diese Zukunft hat bereits begonnen!
Beschwerdefrei innerhalb von sechs Wochen: Künstliche Intelligenz heilt Reizdarmsyndrom
In einer kürzlich publizierten Studie brachten Wissenschaftler aus den USA diese Zukunftsmusik nämlich bereits an die Esstische von echten Reizdarm-Patienten. Beteiligt waren u.a. Forscher aus Harvard und von der Universität Chicago (Jactel und Kollegen,2022).
Zuerst führten die Wissenschaftler eine umfassende Literaturrecherche durch. Sie identifizierten zahlreiche Studien zum Thema Reizdarmsyndrom und Ernährung und erstellten dadurch einen Pool von annähernd 250 individuellen Trigger-Lebensmitteln (von koffeinhaltigen Getränken, über Hülsenfrüchte und Gluten bis hin zu fruktosereichem Obst war alles dabei, was Reizdarm-Betroffenen manchmal Schwierigkeiten bereitet). Die Angaben von etwa 10.000 Patienten flossen in diesen Pool ein.
Anschließend rekrutierten die Forscher 37 Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, darunter 16 mit einem typischen Reizdarm nach ROM-III-Kriterien. 12 mit einer Colitis ulcerosa in Remission (schubfrei), aber Reizdarm-Symptomen und schließlich neun mit Morbus Crohn in Remission doch ebenfalls mit RDS.
Anhand der in der Literaturrecherche erhobenen Daten assoziierte der Rechner die einzelnen Trigger-Lebensmittel mit demographischen Kategorien. Zu deutsch: Welche Lebensmittel provozieren die Beschwerden für eine weibliche Betroffene in ihren Zwanzigern, mit einem Reizdarmsyndrom vom Durchfalltyp, einer geringen Erkrankungsdauer? Durch dieses Vorgehen wurde der Lebensmittel-Pool erst einmal auf 21 Nahrungsmittel pro Patient eingegrenzt.
Nun begann erneut eine Phase des Datensammelns. Über drei Wochen ernährten sich die Patienten nach ihren eingeübten Gewohnheiten und übermittelten ihre Mahlzeiten (Menge, Zeit, Zusammenstellung) und ihre Beschwerden jeden Tag detailliert an die Wissenschaftler. Ein Computer fokussierte sich dann auf die zuvor spezifizierten 21 Lebensmittel und grenzte diese mittels Maschinenlernens ("künstliche Intelligenz") noch weiter ein.
Schließlich verblieb für jeden Patienten eine kurze Liste mit gerade einmal drei bis fünf Lebensmitteln, die für einen bestimmten Patienten individuell besonders wahrscheinlich symptom-triggernd wirken. Die Probanden eliminierten diese Lebensmittel nun aus ihren Speiseplänen und ergänzten diese Elimination später noch durch Wiedereinführungsversuche.
Die zentralen und ganz und gar faszinierenden Ergebnisse:
- 81% der Teilnehmer erzielten eine signifikante Linderung der Reizdarm-Beschwerden.
- 25 Patienten (67,5%) berichteten vollständige klinische Beschwerdefreiheit.
- Es verbesserten sich Lebensqualität, Stimmung und Erschöpfung der Patienten.
- Die Teilnehmer berichteten sehr hohe Raten für das Einhalten der Vorgaben und auch die Zufriedenheit mit der Therapie.
Maximale Erfolge mit sehr geringem Aufwand
Besonders hervorzuheben ist, dass die Künstliche Intelligenz tatsächlich 37 individuelle Reizdarm-Diäten kreierte, was meine im Buch beschriebene Ansicht untermauert, dass eine Basis-Ernährungstherapie des Reizdarmsyndroms immer auch ein individuell an den Patienten angepasstes Feintuning erfordert (was in diesem speziellen Fall eben die KI übernahm).
Ein gewaltiger Vorteil der hier angewandten Methode ist natürlich, dass sie nur einen überschaubaren Eingriff in die Lebensgewohnheiten der Betroffenen erfordert. Keine lästigen FODMAP-Tabellenbände mehr, keine Grenzwerte berechnen. Drei Lebensmittel(bestandteile), beispielhaft seien einmal Hefe, Gluten und Kaffee genannt, sind zu meiden und schon profitieren die Betroffenen mit maximalen Gewinnen an symptomatischer Linderung und Lebensqualität! Der geringere Eingriff in den Alltag der Patienten geht logischerweise mit einer höheren Akzeptanz einher und führt dadurch zur dauerhaften Beibehaltung der Ernährungsstrategie. Letzteres war ein erhebliches Problem bspw. bei der Low-FODMAP-Diät, welche zwar gerade für Blähungen und Bauchschmerzen recht gut funktioniert, von vielen Anwendern aufgrund ihrer hohen Komplexität allerdings schnell wieder fallen gelassen wird.
Ist das Maschinelle Lernen bereits jetzt die effektivste Reizdarm-Therapie?
Wie Sie als kundige Leserin oder wissender Leser sicher bereits bemerkt haben, kommt die vorgestellte wissenschaftliche Untersuchung, trotz aller berechtigter Begeisterung über die erzielten Ergebnisse, mit einigen Einschränkungen daher. Ich greife einmal nur die zwei bedeutsamsten heraus.
- Es handelt sich um eine Kohortenstudie mit kleiner Teilnehmerzahl ohne Kontrollgruppe. Dies ist vor allem deshalb problematisch, da Reizdarm-Patienten mit signifikanten symptomatischen Verbesserungen auf nahezu jegliche Veränderung ihres Ernährungsstils (sham-diets) reagieren, was der Neigung zum Plazebo-Effekt geschuldet ist. Zusätzlich sollte man fragen: Lag die Effektivität tatsächlich im Maschinen-Lernen begründet? Was wäre passiert, hätte ein Forscher via Zufallsprinzip drei bis fünf Lebensmittel aus dem Pool ausgewählt?
- Die Stichprobe war nicht repräsentativ für die Grundgesamtheit der Reizdarm-Betroffenen. Es handelte sich einerseits um RDS-Patienten, aber auch um Betroffene von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, die zusätzlich unter RDS-Symptomen litten. Bei der Effektivitätsbewertung zeigten sich Unterschiede zwischen diesen Gruppen. So erreichte "nur" etwa die Hälfte der klassischen Reizdarm-Patienten die vollständige Beschwerdefreiheit, während dies für fast 75% der Probanden mit einem Morbus Crohn zutraf. Leider kann man aufgrund der geringen Teilnehmerzahl keine Aussage über den Wert bzw. die Ursache dieses Phänomens treffen. Noch problematischer als die Heterogenität der Teilnehmer ist das relativ geringe Ausmaß ihrer Betroffenheit. Der Schweregrad-Score (IBS-SSS) lag im Durchschnitt bei 150 Punkten (Gruppe mit klassischem RDS: 170), was einer milden Ausprägung der Beschwerden entspricht. Die Wahrscheinlichkeit, absolute Symptomfreiheit zu erreichen, ist für diese Patienten natürlich deutlich höher als für Patienten mit einem moderaten bis starken Schweregrad. Beide sind allerdings typisch für Betroffene.
Fazit: Was Sie aus dieser Studie lernen sollten
Trotz der eben benannten Einschränkungen können Sie einige interessante Schlussfolgerungen aus dieser Untersuchung ziehen:
- Diese beweist wieder einmal: Eine Remission oder Heilung des Reizdarms ist möglich!
- Sie belegt den nahezu immer vorhandenen Zusammenhang von Ernährung und Reizdarmsyndrom und das Potenzial von Ernährungstherapien.
- Die Studie verdeutlicht außerdem die Notwendigkeit individuell angepasster Diäten. Es gibt keine "one-size-fits-all"-Lösungen wie "Essen Sie einfach vegan/Paleo/Low-FODMAP etc." oder "Stellen Sie einfach alles auf Rohkost um"
- Innerhalb der nächsten Jahre werden wir eine Blütezeit der künstlichen Intelligenz erleben, welche die Diagnostik und Therapie des Reizdarmsyndroms ungemein vereinfachen wird.
Dass die KI aber auch heute schon schwerer betroffenen Patienten helfen kann, ihre Symptome deutlich zu reduzieren, zeige ich Ihnen in meinem nächsten Blogbeitrag. Diesen finden Sie in Kürze auf meinem Hauptmedium Reizdarmtherapie.net!
Bis dahin verbleibe ich mit den besten Grüßen und wünsche schnellstmögliche Genesung
Ihr Thomas Struppe