Liebe Leserinnen und Leser, in meinem Buch "Dein Reizdarm ist heilbar!" beschreibe ich eine spezifische Modifikation der den allermeisten Reizdarm-Patienten inzwischen geläufigen Low-FODMAP-Diät. "Meine Variante" der Ernährungstherapie weicht dabei in nicht wenigen Punkten von der klassischen Version, geprägt vor allem durch die Vorgaben der Monash Universität, ab. Warum ich glaube, dass Patienten mit einem Reizdarmsyndrom, einem Morbus Crohn oder einer Colitis ulcerosa besser beraten sind, wenn sie meine diesbezüglichen Empfehlungen beherzigen, habe ich im Buch ausführlich dargelegt. Da die Kenntnis dieser Gründe aber auch für das Verständnis dieses Blogartikels nicht ganz unerheblich ist, möchte ich sie hier wenigstens noch einmal stichpunktartig vorstellen:
- Die klassische Low-FODMAP-Diät erlaubt den Konsum vieler "Brandbeschleuniger" der Pathophysiologie chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen (zu denen erwiesenermaßen auch der Reizdarm gehört). Zucker, verschiedene künstliche Geschmacks-, Farb- und Konservierungsstoffe und andere problematische Lebensmittelkomponenten sind innerhalb des Standard-FODMAP-Konzeptes erlaubt und schädigen dadurch das Darmmilieu noch weiter (Khademi et al.,2021; Raoul et al.,2022; Satokari,2020).
- Die klassische Low-FODMAP-Diät begünstigt eine Verminderung der Ernährungsqualität und die Entstehung von Mikronährstoffmängeln (Bek et al.,2022).
- Die klassische Low-FODMAP-Diät verstärkt die Dysbiose der Darmflora, welche oft in erster Linie zur Entwicklung des Reizdarms führte (Vandeputte et al.,2020).
- Die klassische Low-FODMAP-Diät wirkt symptomatisch (lindert vor allem Bauchschmerzen und Blähungen), ändert allerdings nichts an den zugrundeliegenden Ursachen von Reizdarm, Crohn und Colitis. Insbesondere betrifft dies die chronische Immunaktivierung mit der bei allen drei Erkrankungen gesteigerten Entzündungslast (Grammatikopolou et al.,2020; Peng et al.,2022 etc.).
Grundsätzlich können alle vier genannten Schwächen der klassischen Low-FODMAP-Diät durch die zusätzliche Integration der mediterranen Säulen positiv beeinflusst oder gar behoben werden. Im heutigen Artikel möchte ich mich allerdings auf Punkt 4 fokussieren. Bei diesem handelt es sich um den mit Abstand wichtigsten, da er die Genesung vom Reizdarm erst möglich macht.
Im Folgenden werde ich Ihnen eine weitere faszinierende Studie vorstellen, welche die enorme Wichtigkeit der im Buch beschriebenen diätetischen Modifikationen eindrucksvoll illustiert!
Persönlicher Ernährungsstil und inflammatorisches Proteom
Sollten Sie sich durch die sperrigen Wörter in der obigen Überschrift etwas abgeschreckt fühlen, kann ich Sie beruhigen. Ich werde den "science-slang" der Forscher für Sie in einfaches Deutsch übersetzen und Ihnen die zentralen Ergebnisse der Untersuchung in leicht verdaulichen Häppchen anbieten.
Durchgeführt wurde besagte Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie der Universität Groningen in den Niederlanden. 454 niederländische Betroffene mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa nahmen daran teil. Das erklärte Ziel dieser Untersuchung war es, die Auswirkungen verschiedener Ernährungsstile oder -muster auf das inflammatorische Proteom abzuschätzen. Das Proteom bezeichnet hier einfach die Gesamtheit aller in einer Zelle oder einem Lebewesen zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter spezifischen Bedingungen vorhandenen Proteine. Weiterhin finden wir eine zusätzliche Einschränkung dieser Gesamtheit: inflammatorisch (=entzündlich). Die Forscher interessierten sich also ausschließlich für jene Proteine, die an Entzündungsprozessen beteiligt sind (anti- oder pro-entzündlich wirken).
Um den Zusammenhang zwischen Ernährungsstil und Entzündungsstatus zu untersuchen, ließen die Forscher ihren Probanden Blut abnehmen und veranlassten diese dazu, ihre Ernährung über einen Zeitraum von einem Monat genaustens (also mit Gewichtsangaben) zu dokumentieren.
Die Analyse der Ernährungstagebücher niederländischer Darmpatienten identifizierte fünf individuelle Ernährungsmuster
Nach der Eingabe dieser gewaltigen Datenmengen ordneten die Forscher die Ernährungstagebücher via Hauptkomponentenanalyse. So identifizierten sie fünf stabile Ernährungsstile, welche einen großen Teil der Ernährungsvariabilität erklären konnten. Hier die übergeordneten Charakteristika dieser Muster:
- Zuckerreiche Ernährung (viel Zucker aus Süßigkeiten und Säften, viele verarbeitete Kohlenhydrate aus Keksen, Kuchen, Brötchen etc.)
- Mediterrane Ernährung (viel Gemüse, Fisch, Eier, Nüsse und Hülsenfrüchte)
- Stark-verarbeitete Ernährung (viele Fertigprodukte, Pasta, Pizza)
- Kaffee-Alkohol-Genuss (übermäßig viel Kaffee und Alkohol)
- Traditionelle-niederländische Ernährung (viel Gemüse, Kartoffeln, Fleisch und Hülsenfrüchte)
Zuckerreiche Ernährung schädigt das Darmmilieu auf mehreren Ebenen
Der erste Ernährungsstil, welcher durch einen hohen Konsum von Zucker und verarbeiteten Kohlenhydraten gekennzeichnet ist, führte zu einer signifikanten Verringerung des Proteins FGF-19 (Fibroblasten-Wachstumsfaktor 19). FGF-19 wird hauptsächlich im Krummdarm (unterer Abschnitt des Dünndarms) gebildet. Vorausgehende Untersuchungen hatten mehrfach belegt, dass verminderte Konzentrationen des Proteins mit stärkeren Entzündungsprozessen, einer gestörten Darmbarriere (Leaky Gut Syndrom) und einer Malabsorption von Gallensäuren assoziiert sind.
Mediterrane Diät wirkt hingegen bei Darmerkrankungen wie ein effektives Medikament
Im Gegensatz dazu erhöhte das mediterrane Ernährungsmuster (wie in meinem Buch beschrieben) die FGF-19-Konzentrationen. Pharmakologische Experimente mit dem Ziel der FGF-19- bzw. Farnesoid-X-Rezeptor-Manipulation führten zu einer Linderung der Darmentzündungen, einer verbesserten Integrität der Darmbarriere und einer Hemmung der Produktion proentzündlicher Zytokine und dem Verlust gastrointestinaler Becherzellen. Dieser Wirkmechanismus gilt inzwischen aufgrund der genannten Erfolge zu den vielversprechendsten medikamentösen Ansätzen für die aktive Krankheitsphase.
Das mediterrane Ernährungsmuster wirkte also wie ein besonders vielversprechendes Medikament!
Kaffee und Alkohol begünstigen entzündliche Prozesse
Der häufige Konsum von Kaffee und Alkohol führte in der Untersuchung zu erhöhten Konzentrationen von Eotaxin-1. Eotaxin-1 sorgt für die Vermehrung von spezifischen Immunzellen - Eosinophilen - im Darmgewebe und aktiviert diese außerdem selektiv. Die Eosinophilen spielen vor allem bei allergischen Reaktionen, aber auch Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom eine wichtige Rolle und sind oft mit einem anderen prominenten Zelltyp des Immunsystems verschalten - den Mastzellen. Weiterhin können Eosinophilen problematische Inhaltsstoffe wie das Kationische Eosinophile Protein (ECP) freisetzen, welches stark membranschädigend wirken kann. Diese Ergebnisse sprechen für entzündungsfördernde Eigenschaften von Kaffee und Alkohol, zumindest im Rahmen chronischer Darmerkrankungen.
Zusätzlich verminderte gerade Kaffee-Konsum die Konzentrationen von Interleukin-12(b) (IL-12). Dies verweist auf beeinträchtigte Immunfunktionen und eine verminderte anti-Tumor-Aktivität. Geringe IL-12-Konzentrationen sind außerdem ein Risikofaktor für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Was bedeutet das alles für Sie persönlich?
Nun kann ich mir gut vorstellen, dass Ihnen nach dieser technischen Abhandlung erst einmal der Kopf brummt. FGF-19, Eotaxin-1, FXR ... Was genau bedeuten diese Erkenntnisse der niederländischen Forscher für Ihre persönliche Ernährungspraxis? Seien Sie unbesorgt, die Wissenschaftler selbst brechen Ihre Analyse in der Schlussfolgerung auf eine simple Empfehlung herunter.
"Unsere Ergebnisse legen deutliche Vorteile einer mediterranen Ernährung für Patienten mit chronischen Darmerkrankungen nahe."
- Essen Sie eine gesunde Mittelmeer-Kost mit einem moderaten Anteil an nicht-verarbeiteten und FODMAP-armen Kohlenhydraten (glutenfreier Hafer, Hirse, Buchweizen, Vollkornreis). Achten Sie auf eine Kohlenhydratgrenze von etwa 150g/Tag.
- Verzehren Sie viel FODMAP-armes Gemüse (5 Portionen täglich) und zusätzlich zwei Portionen niederglykämisches und FODMAP-armes Obst (Erdbeeren, Kiwi, Orange etc).
- Beziehen Sie täglich FODMAP-arme Nüsse und Hülsenfrüchte in geringen Mengen ein (z.B. 100g Linsen aus dem Glas).
- Konsumieren Sie täglich "Super-Probiotika" in Form fermentierter Lebensmittel.
- Zwei- bis dreimal die Woche sollten Sie Omega-3-reichen Fisch zubereiten.
- Konsumieren Sie liberal qualitativ-hochwertiges Olivenöl.
- Meiden Sie Zucker und verarbeitete Lebensmittel wie der Teufel das Weihwasser!
- Verbannen Sie Kaffee und Alkohol, wie auch im Buch empfohlen, zumindest so lange von Ihrem Speiseplan, bis sich Ihr Darm vollständig erholen konnte.
Eine ausführliche Lebensmittelliste zur mediterranen Low-FODMAP-Diät (mLFD) erhlaten Sie auf meiner Download-Seite.
Ich wünsche Ihnen maximale Gesundheit, eine schnelle Genesung und viele schöne kulinarische Erlebnisse
Ihr Thomas Struppe
(Bild-)Quellenverzeichnis
Bourgonje AR, Bolte LA, Vranckx LLC, Spekhorst LM, Gacesa R, Hu S, van Dullemen HM, Visschedijk MC, Festen EAM, Samsom JN, Dijkstra G, Weersma RK, Campmans-Kuijpers MJE. Long-Term Dietary Patterns Are Reflected in the Plasma Inflammatory Proteome of Patients with Inflammatory Bowel Disease. Nutrients. 2022 Jun 17;14(12):2522. doi: 10.3390/nu14122522. PMID: 35745254; PMCID: PMC9228369.